Die erste Bundesfeier von 1891

Welche Umstände führten zur ersten Feier?

politischer Hintergrund

Aussenpolitischer Hintergrund

1813 löste sich die Schweiz vom engen Bündnis mit Napoleon und erklärte die bewaffnete Unabhängigkeit. Vieles hatte sich verändert seit die napoleonischen Truppen 1798 in die Schweiz einmarschiert waren.
Die Schweiz bestand zwar immer noch aus 25 «Staaten» (Kantonen), doch waren diese nun nicht mehr völlig unabhängig, sondern besassen einen gemeinsamen Staatsvertrag, den sogenannten Bundesvertrag. Diesen hatten sie allerdings nicht selber beschlossen, er wurde ihnen von den Grossmächten mehr oder weniger aufgezwungen.

Folgende wichtigen Punkte wurden darin geregelt:

Rechtsgleichheit:
Alle ehemaligen Untertanengebiete waren nun gleichberechtigt und bildeten teilweise eigene neue Kantone. Für alle Bürger eines Kantons galten nun dieselben Rechte. Patriziate wurden abgeschafft.

gemeinsame Armee:
Die Kantone hatten im Kriegsfall Truppen zu stellen, die von einem gemeinsamen eidgenössischen Generalstab kommandiert wurden.

gemeinsame Aussenpolitik:
Die Kantone durften nicht mehr selber Militärbündnisse und Handelsverträge mit fremden Mächten abschliessen.

Alle übrigen Bereiche der Gesetzgebung waren weiterhin den Kantonen überlassen. Jeder Kanton konnte eigene Währungen haben, eigene Masse und Gewichte, ein eigenes Postwesen usw.
Eine schweizerische Regierung gab es jedoch noch nicht. Alle gemeinsamen Beschlüsse wurden von der «Tagsatzung» gefasst, einer Ministerkonferenz bestehend aus Vertretern aller Kantone.

-> Die Schweiz war also ein «lockerer Staatenbund».

Innenpolitischer Hintergrund

Bis ca. 1830 bestand «die Regierung» in den einzelnen Kantonen vorwiegend aus Repräsentanten der «politischen Rechten» (Konservative).
Ab 1830 kamen mehr und mehr die Freisinnigen, die damalige politische Linke, (oft auch «Radikale» genannt) an die Macht. Das neue liberale Regime galt als modern und fortschrittlich.
Diese freisinnigen Regierungen bestanden mehrheitlich aus (Gross)Industriellen, was sich in ihren politischen Forderungen wiederspiegelte: Freie Marktwirtschaft (Abschaffung von Binnenzöllen), Vereinheitlichung der Wirtschaftsgesetze (Vertragsrecht, Mass und Gewichte, Währung) oder besser noch eine «gesamtschweizerische Regierung».

In einigen Kantonen (vorallem in der Innerschweiz) blieben jedoch die Konservativen, bestehend aus den ehemals regierenden Patrizierfamilien, aber auch aus streng religiösen Kreisen (Ultramontane) an der Macht. Sie verwarfen die Ideen der franz. Revolution und hielten weiterhin am Föderalismus fest.

Einer der wichtigsten Streitpunkte im sogenannten Kulturkampf zwischen den liberal-radikalen und den katholisch-konservativen Bewegungen war die Schulfrage: Die Freisinnigen forderten konfessionell neutrale Staatsschulen. In diesen staatlich Volksschulen sollte eine neue, national und aufklärerisch denkende Generation herangebildet werden. Es sollten neue Fächer wie Naturkunde eingeführt werden, welche den weitverbreiteten Aberglauben in der Bevölkerung bekämpfen, das Verständnis für Naturereignisse förden und den Glauben an die Wissenschaft stärken sollten.
Auf der Gegenseite hielten die Konservativen an der traditonell kirchlich geführten Volksschule fest.

-> Die Schweiz war in der Zeit von 1830 bis zur Bundesstaatsgründung tief gespalten durch diesen politischen und konfessionellen Gegensatz. Dies äusserte sich in gehässiger Propaganda oder durch gewaltsame Aufstände, was schlussendlich 1847 zu einem Bürgerkrieg (Sonderbundskrieg) führte. Dieser wiederum den Anstoss zur Bundesstaatsgründung von 1848 gab.

Aussenpolitik nach 1848

Mit der Annahme der ersten Bundesverfassung von 1848 war zwar ein neuer Staat entstanden, doch wurde er noch nicht von allen Seiten akzeptiert. Die äussere Bedrohung war noch nicht gebannt, denn die Grossmächte Preussen, Frankreich und Österreich, welche die nunmehr freisinnig regierte Schweiz als Provokation empfanden, suchten weiterhin nach Vorwänden für einen Einmarsch. Die Schweiz hatte ja in eigener Regie den, ihr von den Grossmächten aufdiktierten Bundesvertrag von 1815 gegen die Bundesverfassung von 1848 eingetauscht. Obwohl neben der Provoktion mit dem Neuenburger Handel auch ein Grund da war, marschierten keine Truppen ein, dies hat woll auch damit zu tun, dass die Grossmächte genügend mit sich selber beschäftigt waren und zu wenig Geld für einen Militäreinsatz zur Verfügung stand. Schlussendlich wurde ab 1871 die bewaffnete Neutralität der Schweiz respektiert.
Es begann sich nun auch mehr und mehr ein Machtkampf zwischen dem immer stärker werdenden Verfassungsstaat und dem römischen Papsttum zu entwickeln (da der Papst auf dem Absolutheitsanspruch beharrte).

Innenpolitik nach 1848

1848 war die Schweiz als Staat zwar auf dem Papier entstanden, aber noch lange nicht in den Köpfen der Leute. Für die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung (Kleinbauern, Kleinindustrielle, einfache Arbeiter...) waren die Sorgen des Alltags wichtiger als die Politik (ihre Sorgen waren auch nach der Bundesstaatsgründung immer noch dieselben wie vorher, für sie hat sich mit der Staatsgründung nichts geändert.).
1873 liess der freisinnige Bundesrat zwei der römisch-katholischen Bischöfe aus der Schweiz ausweisen und brach die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan ab. Die katholisch-Konservativen opponierten scharf gegen die bundesrätliche Politik und lehten im Gegenzug 1874 die Revision der Bundesverfassung ab.

-> Die Kluft zwischen Freisinn und Konservativen verschärfte sich aufs Neue.

Die erste Bundesfeier von 1891

Es stellt sich unweigerlich die Frage nach den Gründen der Einführung einer ersten Bundesfeier im Jahre 1891?

Einerseits galt bis tief ins 19. Jahrhundert das auf ältere Quellen Gründungsdatum vom 8. November 1307. Das Dokument von 1291, der sogenannte Bundesbrief, war lange Zeit unbekannt; Es wurde erst im 18. Jahrhundert wieder entdeckt, was darauf schliessen lässt, dass es für die damalige Zeit nichts besonderes war; sicher kein Dokument einer Staatsgründung.
Andererseits bestand auch lange Zeit das heutzutage selbstverständliche Bedürfnis nach landesweiten Jubiläumsfeiern noch nicht.
Zunächst wurde fast ausschliesslich der Schlachten und Bundesbeitritte der einzelnen Kantone gedacht. Bis kurz vor 1891 die Idee aufkam, gestützt auf das Dokument von 1291, das 600-jährige Bestehen der Eidgenossenschaft zu feiern.
Diese Idee war sehr stark getragen vom ins gleiche Jahr fallenden stadtbernischen Gründungsjubiläum.

Die Inszenierung der Jubiläumsfeier von 1891 kann also direkt aus einem plötzlich aufkommenden Bedürfnis abgeleitet werden. Denn es ist doch bemerkenswert, dass bis 1889 keine fassbare Absicht bestand, 1891 eine grosse Bundesfeier zu feiern.
Doch jetzt wo die Idee einer Bundesfeier da war, begann man erst richtig zu erkennen, wie nützlich eine solche Feier politisch sein konnte.
Wohl hatten die Freisinnigen im Kulturkampf während der vergangenen Jahrzehnte unermüdlich nationalistische Propaganda (Sportfeste, Männerchöre, Armbrustschiessen, patriotische Festreden...) betrieben, doch an die Möglichkeiten einer historischen Zeremonie wie die einer Bundesfeier wurde noch nicht gedacht.
Zudem war man gerade jetzt, in einer Zeit der Verunsicherung durch das Aufkommen der Sozialdemokraten speziell darauf angewiesen, das Volk aufzuwecken, es zu vereinigen. - Die Vorstellung einer nationalen Einheit sollte unbedingt wieder aufgefrischt werden. Dazu war natürlich eine Bundesfeier das beste Mittel. Es sollte eine Feier werden, die das Volk zusammenschweisst, es stärkt und vereinigt!

Zitat des katholisch-konservativen Kantonsrats Adelrich Benziger in der Kantonsratssitzung des 5. Februar 1890:

«Die Katholiken hätten in Anbetracht der Vorgänge der letzten Jahre Grund zu grollen, denn sie seien nicht mit gleichen Ellen behandelt worden ... Indessen soll angesichts der bevostehenden Feier diesfalls keine Abrechnung stattfinden, wohl aber soll die Feier dazu angethan sein, Differenzen möglichst auszugleichen und eine Milderung der Verhältnisse herbeizuführen. Es wird sich mit der Feier der schönste Anlass bieten, mit politischen Gegnern zusammenzutreffen und versöhnend und ausgleichend zu wirken...Wir müssen unseren Gegnern beweisen, dass wir das gesamte schweizerische Vaterland auch lieben, wenn wir auch Katholiken (sind) und als solche den Papst anerkennen.» (Kreis S. 76)

Man freute sich auf die Feier. Es sollte der zerfahrenen Situation und dem ewigen Konflikt, herrührend von den Zeiten des Kulturkampfes, ein neuer und frischer Wind eingehaucht werden.
Der Wille zur Versöhnung war auf jeden Fall vorhanden, denn als Festort wurde vom freisinnigen Bundesrat mit der Gemeinde Brunnen eine Ortschaft eines ehemaligen Sonderbundkantons (Schwyz) akzeptiert (einige Jahre zuvor wäre es wohl ein noch undenkbarer Kompromiss gewesen!)

Ablauf der Bundesfeier von 1891

Willhelm Tell Denkmal in AltdorfEs ist natürlich klar, dass nur Elemente vorkommen sollten, mit denen sich der Einzelne als Schweizer identifizieren konnte und nicht als Konservativer oder Freisinniger.
Willhelm Tell und Winkelried - das waren denn auch die beiden tragenden Figuren der Feier. Jedem Zuschauer wurde die Vergangenheit der Schweiz vor Augen geführt; Die glorreiche Vergangenheit einer unabhängigen Schweiz, einer kämpferischen Schweiz, einer aufrechten und stolzen Schweiz!

Diese Bilder waren es, die den Leuten den Weg in die «richtige» Richtung weisen sollten - unabhängig von ihrer politischen Gesinnung oder ihrem sozialen Stand!
Das nationalistische Gedankengut wurde geradezu in die Köpfe der Festbesucher eingehämmert. Worte wie Heimatgefühl, Vaterlandsliebe, Freiheit, Brüderlichkeit... konnten nicht genug in den Mund genommen werden.
Jeder Einzelne von ihnen sollte sich angesprochen fühlen. Er musste «gezwungen» werden, über Vergangenes nachzudenken.
Schliesslich sollte jeder stolz sein, Schweizer zu sein! Man legte Wert auf dieTatsache etwas Besonderes zu sein. Die Schweiz war ja schliesslich die älteste Demokratie der Welt.
Die Feier sollte somit auch ganz klar ein Ausdruck der Stärke und der Einheit gegen Aussen sein!

Auswirkungen der Bundesfeier von 1891

Joseph Zemp Mit der Wahl von Josph Zemp in den Bundesrat haben die Katholisch-Konservativen ab dem 17. Dezember 1891 Regierungsbeteiligung (Merki S.23). Es ist dies der Schulterschluss mit dem Freisinn zu einem mehr oder minder festen Block. Die Nation Schweiz mit nationalistischen Schweizer beginnt sich nun rasch zu bilden. Ausserhalb dieses Schulterschluss steht die 1888 gegründete SPS die sich erst mit dem Burgfrieden und dem neuen Parteiprogramm von 1935 in die Schweiz integriert. Mit der Feier von 1891 beginnt «das nationale Zeitalter, das in der «Landi-Schweiz» von 1939 seinen Höhepunkt erlebte und sich in abgeschwächter Form bis in die Zeit des kalten Krieges verlängert hat» (Merki S.25).

Die Bundesfeier von 1941

50 Jahre später befand sich die Schweiz in einer völlig neuen Situation. Die Schweiz war eingeschlossen von den Achsenmächten. Jetzt bedurfte es nicht wie noch vor 50 Jahren einer Demonstration der Stärke und der Einheit gegen Aussen. Dies war angesichts der Übermacht der Gegner nutzlos.
In dieser schwierigen Zeit musste vorallem innerhalb der Schweiz für Stabilität gesorgt werden. Diese Bundesfeier stand darum auch ganz im Zeichen der militärischen Bereitschaft. Die Unabhängigkeit und Freiheit aus der Zeit nach der «Gründung» wurde gefeiert, die nun in grosser Gefahr war, bestand doch permanent die Gefahr eines Einmarsches der deutschen Truppen.
Durch die pompöse Inszenierung der Festspiele ging der Zuschauer voll Ehrfurcht und zutiefst berührt nach Hause. Die Feierlichkeiten erfüllten also ihren Zweck: sie vereinigten das Schweizervolk. Die siegreichen und tapferen Helden der Festspiele wurden zu Vorbildern für die Männer des Aktivdienstes. Ein Vorbild im Kampf für die Erhaltung der 650 jährigen Schweiz, welche ernsthaft gefährdet war!

Die Bundesfeier von 1991

Nocheinmal 50 Jahre später stand wieder ein runder Geburtstag an. Nur wusste eigentlich gar niemand so genau, was gefeiert werden sollte!
Die Heldenmythen der Vergangenheit haben ihre Gültigkeit verloren. Man konnte also die 700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft nicht gut am Mythos des Tell oder an der Geschichte eines Winkelried aufhängen, dies wirkte doch etwas unglaubwürig und unzeitgemäss.
Die Tatsache der Widerlegung des Tellmythos veranlasste die Ausstellungsmacher an der Expo Sevilla '92 dann auch dazu, den folgenden Slogan provokativ zu präsentieren «la suisse n'existe pas»!
Dieser Slogan entbrannte in der Schweiz heftige Kontroversen. Die Aktivdienstgeneration fühlte sich vor den Kopf gestossen. Das wofür man sich vor 50 Jahren eingesetzt hatte, woran man so fest glaubte, soll nicht existiert haben?
Auch die Festreden haben sich geändert. Der Bundesrat (Ansprache Cotti) sprach nun nicht mehr von Freiheit, Brüderlichkeit oder Vaterlandsliebe, sondern von Unabhängigkeit und Solidarität, wobei er ebenso das Thema Europa anschnitt.
Alles, womit sich die Aktivdienstgeneration einst identifiziert hatte, schien weggeworfen auf dem Weg nach Europa.

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Matthias Degen
Thomas Kuster

original URL: http://n.ethz.ch/student/degenm/geschichte

November 2001